Was ›kill your darlings‹ wirklich bedeutet (Teil 2)
Im letzten Beitrag habe ich es euch angekündigt und heute machen wir damit weiter, eure Lieblinge zu killen. Dieses Mal auf dem Programm Sätze, Absätze, Dialoge, Szenen und Infodump. Da kommt also eine Menge auf euch zu, aber im Prinzip ist es einfach: Was nicht in eure Geschichte gehört, kommt weg. Aber woher sollst du wissen, was in deine Geschichte gehört? Du hast das alles doch aus einem bestimmten Grund geschrieben, deshalb kann doch jedes Wort stehen bleiben, oder?
Nein, kann es nicht. Es ist genau wie beim ersten Teil dieses Themas. Da habe ich dir gezeigt, dass wir nicht zwei gleiche Charaktere brauchen, erinnerst du dich? Da ging es um Funktionen und die Archetypen aus der Heldenreise. Heute widmen wir uns aber all den Dingen, die zum Plot gehören. Oder eben nicht. Ist Letzteres der Fall, streichen wir.
Infodump
Aber von vorne! Fangen wir mit dem leidigen Thema Infodump an. Warum? Weil er bei den meisten Autoren auf Seite 1 daherkommt. Geballt und langatmig. Spätestens auf Seite 3, wenn der Autor schon etwas über den bösen Infodump gelesen hat und ihn unbedingt auf der ersten Seite vermeiden will. Trotzdem ist er irgendwie immer da. Aber warum? Weshalb sind so viele Autoren der Meinung, dass sie ihre Leser mit Informationen erschlagen müssen?
Einfache Antwort: Die Infos sind da (entweder durch lange Recherche oder mühevolles Worldbuilding) und deshalb möchten Autoren sie auch in den Text einfließen lassen, damit der Leser besser versteht, worum es geht, und sich in der Welt zurechtfindet. So wird alles erklärt. Das Problem: Erklärungen sind langweilig, rauben der Geschichte Spannung und Dynamik und sie prägen sich nicht besonders gut ein.
Viele Autoren wagen es nicht, ihre Leser ins kalte Wasser zu werfen und abzuwarten, ob sie schwimmen. Lieber geben sie ihnen Schwimmflügel und -westen an die Hand, damit nichts passiert. Und niemand sein Hirn einschalten muss, ist ja alles so super erklärt. Aber wozu diese Erklärungen? Warum Fragen aufwerfen, und Spannungselemente streuen, wenn die Auflösung gleich auf dem Fuße folgt? Damit ist der Grund weg, weshalb der Leser weiter im Buch hängt. Und dann brauche ich dringen mehr Spannung und mehr Fragen, aber natürlich auch die Erklärungen, damit es jeder versteht. Ein Teufelskreis, der jede Menge Infodump hervorbringt.
Kleines Experiment gefällig? Lasst die langatmigen Erklärungen weg, gebt den Text einem Leser und schaut, was passiert. Und selbst wenn er etwas nicht versteht und Fragen an dich hat, ist das gut! Dann bleibt er dran, will wissen, was gemeint ist und wie es aufgelöst wird. Spannungsbogen aufgebaut. Leser in der Story gehalten. Natürlich dürft ihr auch nicht zu viel im Dunkeln lassen, sondern gebt euren Lesern genug an die Hand, dass sie sich allein im Dämmerlicht orientieren können.
Keine Angst, es gibt elegante Wege, um dem Leser Informationen zu vermitteln, wenn sie wirklich gebraucht werden. Durch Dialoge zum Beispiel (bitte achtet darauf, dass einer der Sprechenden keine Ahnung von dem Thema haben darf. Denn warum sollte sich jemand über die Wirkung von Magie unterhalten, wenn er damit aufgewachsen ist? Ergibt keinen Sinn. Auch hier wären Erklärungen fehl am Platz und würden negativ auffallen). Oder verpack die Info in ein sprachliches Bild, das eindeutig beim Leser hängen bleibt.
Warum schreiben: In der Halle roch es nach Tod. Muss daran liegen, dass hier jeden Tag Menschen aufgeschnitten werden, um herauszufinden, woran sie gestorben sind.
Besser: Kaum hatte sie die Halle betreten, kroch der Geruch von Verwesung in ihre Nase, heftete sich an ihre Kleider. So schnell würde sie ihn nicht wieder loswerden. Weil er sich längst in ihren Verstand gegraben hat. Zeit, dem Tod auf die Spur zu kommen.
Im zweiten Textbeispiel habe ich die Sinne des Lesers direkt angesprochen, ich habe einen Charakter einbezogen, wodurch auch die Szenerie lebendiger wurde. Und ich habe mit einem Bild gearbeitet und den Tod personifiziert.
Auch wenn es Techniken gibt, mit denen ihr Informationen ohne Infodump vermitteln könnt, müsst ihr trotzdem nicht alles sofort erklären. Manchmal ist es gut, abzuwarten, bis ihr den Lesern zeigen könnt, was mit einem speziellen Detail gemeint ist und er so lange im Dunkeln herumirrt. Das erhöht die Spannung. Ganz wichtig ist hierbei, nur Informationen einzubauen, die der Text auch braucht. Entweder, weil unser Held sonst auf dem Schlauch steht und nicht voran kommt, weil die Handlung sonst keinen Sinn ergibt oder weil der Leser irgendwann wissen sollte, was es mit diesem ominösen Kristall auf sich hat. Aber warum Laras Mutter ihr vor drei Jahren ein blaues Kleid gekauft hat, spielt keine Rolle. Außer es ist ein besonderes Kleid. Ihr versteht, was ich meine?
Dialoge
Bei Dialogen ist es oft ähnlich. Charaktere unterhalten sich über das Abendessen und erzählen sich von ihrem Tag. Entwickeln sich dadurch die Figuren weiter? Kommt die Handlung voran? Erfahren die Leser etwas Neues? Lautet die Antwort Nein, kannst du den Dialog streichen oder so abändern, dass er wichtig für die weitere Handlung ist. Kein unnötiges Blabla, das zieht nur den Text in die Länge und tötet jede Dynamik. Natürlich kann es in einem Roman nicht immer nur Aktion geben. Unser Protagonist muss auch zur Ruhe kommen, sich sammeln und nachdenken. Aber warum nicht darüber reden, weshalb der Held bei der letzten Hürde gescheitert ist? Den Finger schön in die Wunde bohren und Konflikte schaffen.
Dreht sich in eurem Liebesroman alles um die Frage, ob es wahre Liebe gibt, lasst zwei Charaktere mit unterschiedlicher Meinung darüber diskutieren. Das ist spannend. Und dann will der Leser natürlich wissen, wer von beiden die wahre Liebe findet. Der Charakter, der sich so danach sehnt und daran glaubt? Oder die beste Freundin, die nichts davon hält, weil sie bisher immer enttäuscht wurde?
Inhalt
Kommen wir nun zu den Sätzen, Absätzen, Nebenplots und Szenen. Im Prinzip stellen wir uns auch hier wieder die Frage: Brauche ich das, was im Dokument steht? Wofür? Was würde passieren, wenn ich es aus meinem Roman streiche und die Handlung verdichte?
Ich schätze, jeder Autor hat schon mal einen Satz gestrichen, weil er keinen Sinn ergeben hat. Oder er unnötig war. Bei Absätzen wird es schon schwieriger. Aber eine ganze Szene löschen? Niemals! Das kommt nicht infrage. Wie soll der Leser dann verstehen, wie unglaublich verliebt meine Heldin in ihren besten Freund ist? Lösung: Zeig es ihm in einem Dialog. Durch Blicke und Berührungen. Dafür brauchst du nicht drei Seiten tief hinab ins Innere deiner Heldin zu tauchen. In der Kürze liegt die Würze, wie es so schön heißt. Und in den Bildern, die wir erschaffen, liegen die wahren Gefühle, die wir dem Leser zeigen wollen. (Ja, jetzt sind wir bei Show, don’t tell angekommen, aber dazu in einem späteren Beitrag mehr. Bleiben wir bei ›Kill your Darlings‹).
Zu wissen, ob ihr einen Satz, Absatz, eine Szene oder gar eine ganze Nebenhandlung braucht, ist manchmal nicht so leicht. Besonders, wenn ihr gern noch Thema X aufgreifen wollt und dafür Szene Y einfügen müsst. Worin genau liegt das Problem? Da gibt es leider gleich mehrere.
Angefangen dabei, dass eine Geschichte nicht unendlich viele Themen, Sub-Plots und große Konflikte verträgt, weil sie sonst zu überladen wirkt und der eigentliche Fokus untergeht. Faustregel: Jede Story hat nur ein Hauptthema, einen Hauptkonflikt und nicht mehr als zwei bis drei Nebenhandlungen. Manchmal ist weniger eben doch mehr. Wollt ihr so viel wie möglich in ein Buch pressen, verwässert ihr nicht nur die Handlung, sondern auch die Spannung und verliert im schlimmsten Fall Leser. Und das wollen wir nicht.
Am besten plant und plottet ihr eure Romane zumindest so weit, dass klar wird, woraus das Grundgerüst besteht. Wenn ihr mögt, mache ich dazu gern noch einen eigenen Beitrag. Wichtig ist aber, dass ihr euch immer die entscheidenden Fragen stellt:
- Bringt diese Szene die Handlung voran?
- Trägt dieser Sub-Plot zur Entwicklung meines Protagonisten bei?
- Erhält der Leser durch diesen Dialog neue Informationen?
- Baue ich damit Spannung auf?
- Brauche ich dieses Detail später für die Auflösung?
Könnt ihr nichts davon mit Ja beantworten, hinterfragt euch ganz kritisch, weshalb es dann unbedingt in die Geschichte muss. Und seid bitte ganz ehrlich zu euch. Ich habe es schon erlebt, dass Autoren später noch einen Handlungsstrang einbauen, damit sie auf eine bestimmte Manuskriptlänge kommen. Aber das ist absoluter Schwachsinn! Es gibt keine Mindestwortzahl für Romane, egal wer euch das einreden will. Eine Geschichte ist so lang, wie sie sein muss, ohne sie unnötig aufzuplustern.
Am besten umgeht ihr unnötige Sätze, Szenen, Dialoge und Charaktere, indem ihr eure Story sorgfältig plant und plottet und euch dann an eurem roten Faden entlang hangelt. Aber zum Thema Planung erwarten euch noch einige Beiträge, seid gespannt.
Und jetzt setzt euch ran ans Manuskript und überprüft jeden Handlungsstrang und jeden Absatz. Vielleicht könnt ihr einige Seiten streichen und euren Roman so noch besser machen. Habt viel Spaß mit euren Projekten.
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